Passend zum Kleist-Jahr 2011 findet vom 27. bis zum 30. September in Krakau eine Tagung mit dem Titel "Heinrich von Kleist und die Briefkultur um 1800" statt. Mein Beitrag zu dieser Veranstaltung ist folgendermaßen angekündigt:
Form als Inhalt? – Die Korrespondenz des Kleistverlegers
Julius Eduard Hitzig im Spiegel ihrer Materialität
Geht man davon aus, dass der Privatbrief noch im 18.
Jahrhundert als das Gespräch zwischen Freunden in Abwesenheit verstanden wird
(Gellert) und wendet man Kleists in seinem – in Briefform abgefassten – Aufsatz
„Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“ (1804/05) formulierte
Grundaussage folgerichtig auf Privatbriefe an, dann muss daraus geschlossen werden,
dass auch jeder einzelne Brief um 1800 zumindest nach Kleists Verständnis einer
gedanklichen Entwicklung unterliegt, die sich erst durch den Schreibprozess
Bahn bricht. Der Brief und das Schreiben des Briefes werden in diesem
Zusammenhang zum Katalysator einer tieferen Einsicht, wobei die „Erkenntnis mit
[der Formulierung] der Periode“ erreicht ist.
Versucht der typische Privatbrief um 1800 tatsächlich das
Gespräch als kleistsches Vehikel der Erkenntnis zu imitieren? Befördert und
lenkt das imaginierte Gegenüber den Gedanken und den Ausbau einer Idee im
Schreibprozess? Kann tatsächlich davon ausgegangen werden, dass sich die
Niederschrift des Privatbriefs um 1800 mit dem von Kleist postuliertem „Reden
als lautem Denken“ gleichsetzten lässt, oder fehlt hier die für die
Unmittelbarkeit der Verknüpfung von Denken und Sprechen geforderte Kongruenz
beider Akte und tut sich nicht vielmehr eine für Briefe typische
Mitteilungsproblematik auf, nach welcher das Geschriebene das Innere nur in
Grenzen adäquat wiedergeben kann und das Gemeinte damit stets verfehlt?
Offenbart sich im Brief das Dilemma der „Unschreibbarkeit“ und der Entfremdung
vom Gedanken durch den Schreibprozess?
All diesen Fragen soll anhand der materialen Bedingtheit von
bis dato unedierten Briefen des Kleistverlegers Julius Eduard Hitzig
nachgespürt werden. Hitzig, der mit einer Fülle von Literaten intensiven
Briefkontakt pflegte – es lassen sich über 2000 Briefe nachweisen – kam als
Knotenpunkt verschiedenster Netzwerke eine zentrale Mittlerrolle in Berlin zu
Anfang des 19. Jahrhunderts zu. Gerade in seiner Funktion als Buchhändler und
Verleger war er Schaltstelle umfangreichsten Briefverkehrs. Deutlich wird
dabei, dass die Entscheidungen über Papiersorte und -format, Tintenfarbe,
Faltung oder Schriftverteilung das Selbstverständnis des Verfassers sowie die
Beziehung zum jeweiligen Empfänger spiegeln. Inwieweit sich Materialität
allerdings tatsächlich mit dem Briefinhalt verbindet, sie sich gegenseitig
bedingen oder unterstützen und dabei die Mitteilung mitbestimmen, gilt es zu
untersuchen.
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